Pulverschnee und Sonnenschein, wir kommen! Unter einem tiefblauen Himmel und entsprechend sengender Sonne nehmen wir den
endlosen Aufstieg von Klosters hoch zur Silvrettahütte unter die Skier. Es wird einem wieder einmal bewusst, dass man sich
nicht unbedingt in einer Wüste aufhalten muss, um festzustellen, was Durst und Schwitzen heisst! Vor allem das
erlendurchsetzte Steilstück oberhalb der Alp Sardasca lässt den Schweiss in Strömen fliessen und komische Gedanken an
eisgekühlte Getränke diverser Art aufkommen ...
So gegen halb sieben abends treffen wir schliesslich doch noch auf der Hütte ein, der offizielle Termin für das Nachtessen
ist überschritten und der Hüttenwart leicht grantig! Wen verwunderts, der Kauz hat sich seit meinem letzten Aufenthalt auf
dieser Hütte im Jahre 1986 kein bischen verändert. Selbst sein Monstrum von einem Hund lebt noch und verbellt vor der Hütte
die ankommenden Tourenfahrer!
Wir lassen den Kauz Kauz sein, geniessen das Abendessen, die herrliche Abendstimmung und sorgen
beim Kartenspiel dafür, dass der tagsüber arg strapazierte körperliche Flüssigkeitshaushalt wieder einigermassen ins Lot
gerät ...
Wieder ein strahlend schöner Tag! In gemütlichem Tempo ziehen wir den unten etwas flachen Silvrettagletscher hoch. Dann
erfolgt der Aufstieg hinauf zur Roten Furka. Der zu dieser Tageszeit noch hartgefrorene Schnee verursacht einige Mühe,
insbesondere bei den zahlreich durchzuführenden Spitzkehren!
Nach einer kurzen Abfahrt mit Fellen steigen wir bei ziemlich scharfem Gegenwind mit unangenehmen Triebschneeeinlagen den
Klostertaler Gletscher hoch. Das Skidepot liegt ziemlich hoch, es sind nur wenige Schritte bis zum Gipfel der Schneeglocke.
Bei kaltem und zügigem Wind geniessen wir die grandiose Sicht. Die Lechtaler Alpen über dem Arlberg, die nahen Felsgipfel des
Ferwall, die ganze Kette der Ötztaler Alpen mit ihren Höhepunkten Wildspitze und Weisskugel, der Ortler genau zwischen
Silvrettahorn und Buin, die eisgepanzerten Gipfel zwischen Königspitze und Punta San Matteo, die unzähligen Gipfel der
Bündner und Glarner Alpen, schliesslich die Felswände des Rätikon - man könnte stundenlang verweilen, neue Ziele entdecken,
Tourenträume hegen ...
Der steife Wind vertreibt solche Gedanken leider rasch, bald schon wieder stehen wir am Skidepot unten. Hier demonstriert
eine Tourenfahrerin, wie man die Skier anzieht, respektive eben, wie man sie nicht anziehen sollte. Ein kurzer Schrei - ein
Ski, der in immer schnellerem Tempo den Steilhang gegen die Rotfluhlücke hinuntersaust, um dann in elegantem Rechtsbogen die
oberste Gletschermulde zu passieren. Kurz vor der endgültigen Schussfahrt in die Tiefe überwirft es ihn - Schwein gehabt!
Auch wir schwingen uns schliesslich auf den Skiern in die Tiefe, die einen eleganter, die andern weniger. Der Schnee ist
heimtückisch, Windharsch wechselt mit gutem Pulver und Sulz, vor Stürzen ist keiner gefeit.
Je tiefer wir kommen, desto besser werden die Verhältnisse. Bald heisst es aber wieder Felle an die Skier und in bestem
Pulverschnee hochsteigen zur Roten Furka. Was für Verhältnisse, wären wir am Morgen nur hier hinunter! Was solls, das
nächste Mal ...
In richtig tiefem Sulz schwingen wir uns anschliessend hinunter auf den Silvrettagletscher. Natürlich immer recht vorsichtig,
da sich tatsächlich noch zwei arme Irre, ihre Skier tragend, bei jedem Schritt bis über die Knie einsinkend den Steilhang
hochquälen. Unser Mitleid ist ihnen gewiss ...
Rechtzeitig zum Abendessen sind wir in der Hütte unten, ist deshalb wohl der Hüttenwart so umgänglich? Oder liegt es daran,
dass er in einem Österreicher, der uns mit seinem Hund von der Roten Furka zur Silvrettahütte begleitet hat, ein neues Opfer
findet?
Besagter Oesterreicher jedenfalls entpuppt sich als netter und umgänglicher Kerl und bringt uns nach einer Runde Molotow
ein neues Kartenspiel bei, bei dem nicht nur sprichwörtlich das Blut fliesst. Es ist sehr einfach und geht im Prinzip um das
Aufdecken von Karten und das reaktionsschnelle Umklammern einer Pfeffermühle!
Liegt es wohl an ihrer Schnelligkeit oder an ihren Fingernägeln, dass sich Rosmarie bald einmal als überragende Spielerin
erweist? Oder liegt es an Heins Pech, fast jedesmal zu drei verschiedenen Farben die vierte aufzudecken? Jedenfalls
entwickelt sich das Ganze zu einem recht vergnüglichen Abend!
Hüttenwechsel! Wir steigen mit Sack und Pack den Silvrettagletscher hoch und queren vor der letzten Steilstufe links weg
zur Egghornlücke. Im Westen und Süden ist schlechtes Wetter angesagt. Abgesehen von einem kalten Wind, der einem während des
Aufstiegs um die Ohren pfeifft, hält es sich in unserer Gegend aber noch recht gut! Die letzten zweihundert Höhenmeter hinauf
zur Lücke gehen wir langsam an, die Zeit reicht alleweilen. Rucksack- und Skidepot, anschliessend steigen wir zu Fuss auf das
Silvrettahorn.
Die gleiche, herrliche Aussicht wie am Vortag, nur ist es dunstiger und Wolkenfelder zeigen sich am Himmel. Am Gipfel, der
eh nicht viel Platz bietet, herrscht rechtes Gedränge, da das österreichische Militär eine Ausbildungsübung durchführt. So
bleiben wir nicht allzulange oben, sondern rasten ausgiebig beim windgeschützten Skidepot.
Dann erfolgt die Abfahrt über den Ochsentaler Gletscher. Erst über das weite, flache, obere Gletscherbecken in gutem Schnee,
dann entlang der Felsen, den gewaltigen, zerschrundenen Gletscherbruch umgehend. Eine wirklich eindrückliche Sache! Unterhalb
der Bruchzone trennen wir uns. Heinz, Paul und Mechthild queren direkt zur Hütte, Heiri, Rosi, Walo und ich verunzieren noch
einige tieferliegende Gletscherhänge. Ein mühsames Unterfangen bei diesem Bruchharsch! Wieder ein kurzer Gegenaufstieg, dann
trollen auch wir uns hinüber zur Wiesbadner Hütte.
Lagerzuweisung, bald erfolgt ein ausgiebiges Nachtessen. Nur das Dessert vermag nicht überall Begeisterung zu erwecken.
Germknödel nennt Paul die trockene Masse. Mit einem Schluck Bier wird das Ganze fast geniessbar!
Kurz nach sechs Uhr morgens ein Blick aus dem Fenster: bedeckt, leichter Schneefall! Nach einem gemütlichen Morgenessen
ziehen wir im Nebel und Sturm hoch zur Tiroler Scharte. Bei diesen Verhältnissen können wir auf eine Besteigung des
Ochsenkopfes gut verzichten!
Bei der darauffolgenden Abfahrt erweist sich der Schnee trotz Stellen mit Windharsch als ausgezeichnet. Viel zu rasch
erreichen wir wieder die Hütte.
Mittagszeit, eine Suppe und ein Bier. Dann bessert das Wetter von einer Viertelstunde auf die andere, immer mehr Blau zeigt
sich am Himmel. Heiri und Mechthild schieben Matrazenhorchdienst, wir andern steigen den Rauhkopf-Gletscher hoch. Heinz und
Walo veranstalten im Schlusshang ein kleines Wettrennen. Ihrem Tempo ist Paul bald nicht mehr gewachsen, er wird von mir und
Rosmarie aufgelesen. Bald sind wir am Skidepot, es folgt der Schlussaufstieg auf den Rauhen Kopf. Was von unten als
Fünfminutenaufstieg ausschaut, erweist sich schlussendlich doch als etwas längerer Anstieg.
Lange verweilen wir nicht auf dem Gipfel, das Wetter verschlechtert sich zusehends, Nebel schleicht umher. Bald nehmen wir
wieder die Abfahrt unter die Skier.
Ein Blick aus dem Fenster: Neuschnee, an die zwanzig Zentimeter, und es schneit weiter. Wir richten uns schon auf einen
gemütlichen Hüttentag ein, als gegen neun Uhr der Himmel plötzlich aufreisst. Mehr und mehr Blau zeigt sich, der starke Wind
vertreibt die letzten Wolken. Bald sind wir startbereit und ziehen hoch zur Oberen Ochsenscharte.
Eigentlich wollten wir von dort noch hoch zur Dreiländerspitze. Da zum einen eine Menge Triebschnee im steilen Gipfelhang
liegt, zum anderen infolge der Erwärmung Schneerutsche aus den Gipfelfelsen erfolgen, brechen wir die Besteigung ab und
schwingen die herrlichen Hänge Richtung Wiesbadnerhütte hinab. Ein wenig in der Sonne liegen, faulenzen. Dann, weils so schön
war, steigen Heiri, Rosmarie, Walo und ich nochmals hoch, derweil die anderen bald einmal Richtung Hütte abfahren.
Eine knappe Stunde Aufstieg, dann liegen wieder herrliche, unversehrte Schneehänge vor uns. Schwung für Schwung eine wahre
Freude zum Skifahren! Leider verschlechtert sich das Wetter wieder zusehends, in den letzten Hängen holt uns der Nebel ein.
Mit dem Höhenmesser suchen wir Spuren und Hütte.
Es herrscht richtiges Hüttenwechsel-Wetter! Nebel, Sturm und Schneefall begleitet uns während unseres Aufstiegs von der
Wiesbadner Hütte zum Vermuntpass. Na ja, da verschafft einem wenigstens der schwere Rucksack etwas Wärme am Rücken!
Die Abfahrt über den Vadret Vermunt hinunter zur Tuoihütte erweist sich als super! Während die Gegend um die Wiesbadnerhütte
im Schnee ersäuft, liegt auf der Südseite der Silvretta kaum Neuschnee. Nach zweihundert Höhenmetern 'Blindflug' im Nebel
liegen die herrlichsten Sulzhänge vor uns. Eine helle Freude zum Fahren!
Lager beziehen, eine warmen Suppe und eine Flasche Bier. Mechthild bleibt in der Hütte. Wir ziehen, da es erst früher
Nachmittag ist und da wir uns in letzter Zeit an zwei Touren pro Tag gewöhnt haben, noch zum Jamjoch hoch. Da wir für heute
allerdings genug im Nebel rumgetappt sind, brechen wir die Übung auf Höhe des Vadret Tuoi ab.
Es erfolgt eine Abfahrt bei nicht mehr ganz so guten Verhältnissen wie am Vormittag. Eine Abfahrt mit infolge schlechter
Sicht etlichen Stürzen, bei denen vor allem Paul mit seinem perfekten Taucher in ein Windloch glänzt. Für die Worte, die ihm
danach entfahren, müsste er eigentlich noch einen Punktezuschlag bekommen ...
Die neu umgebaute Tuoihütte erweist sich, wenn auch nahezu voll belegt, als urgemütlich. Ein wirklich gutes Abendessen mit
Dessert, einige Glas feinen Veltliner, ein wenig diskutieren, allzurasch wird es zehn Uhr.
Frühstück, dann ein Blick nach draussen. Tatsächlich, am Himmel zeigt sich etwas Blau! Buinwetter! Bald ziehen wir den
endlosen Steilhang hoch zum Plan Rai. Kaum sind wir oben, holt uns der Nebel ein. Er begleitet uns den gesamten Aufstieg über
die Mittagsplatte, Fuorcla dal Cunfin bis hin zur Buinlücke.
Lohnt es sich, bei diesen Verhältnissen noch auf den Gipfel zu steigen? Heinz, Paul und Mechthild machen sich an den Rückweg,
Heiri, Rosi, Walo und ich arbeiten uns durch den Schnee hoch. In der Rinne hängen wir ein Fixseil ein, so ist diese einzige
wirklich ungemütliche Stelle auch entschärft. Auf dem oberen Plateau hat der Wind den Schnee praktisch weggefegt, bald einmal
ragt das grosse Gipfelkreuz vor uns auf. Schade, dass uns die Aussicht von diesem wirklich grandiosen Gipfel verwehrt bleibt!
So begnügen wir uns eben mit einer kurzen Rast und machen uns bald einmal wieder an den Abstieg. Nebel auf dem Ochsentaler
Gletscher, Nebel auf der Cudera und dem Plan Rai, erst in den Steilhängen zur Tuoihütte hinunter wird die Sicht besser.
Schade um die guten Schneeverhältnisse. Was solls, eine schöne Tour wars trotzdem!
Schlusstag! Wetter wie gehabt, zwischen regnen und schneien, dazu viel zu warm. Mechthild entschliesst sich zur Abfahrt nach
Guarda, wir andern wollen hinüber nach Klosters, um von dort aus die Heimreise anzutreten. Also arbeiten wir uns nochmals den
liebgewonnenen Steilhang zum Plan Rai hoch. Bei akzeptablen Sichtverhältnissen queren wir anschliessend von Plan da Mezdi den
Gletscherkessel der Cudera hinüber zum Verstanklator.
Mehr fühlend als sehend tasten wir uns im Nebel den Verstanklagletscher hinunter. Je tiefer wir das Verstanklatal
herunterkommen, desto tiefer wird auch der Schnee. Während wir auf Höhe der Alp Sardasca eine Rast einlegen, überholt uns
eine Gruppe, die unseren Spuren vom Silvrettapass her gefolgt ist. So haben wir eine frische Spur und können den Rest der
Abfahrt gemütlich angehen.
Leider endet die Woche nicht, wie sie begonnen hat: Im Sonnenschein sind wir zur Silvrettahütte hochgestiegen, in immer
stärker werdendem Regen zotteln wir hinaus nach Monbiel, wo wir uns vor der Heimreise in einem gemütlichen Restaurant etwas
aufwärmen.
Hat das Wetter auch nicht immer in idealer Weise mitgespielt, musste die eine oder andere Tour abgebrochen oder geändert
werden, so konnten wir doch eine schöne Woche in der herrlichen Bergwelt der Silvretta verbringen. Ich möchte zum Schluss all
jenen danken, die mich in dieser Woche begleitet und das ihrige dazu beigetragen haben, diese Woche zu dem Erlebnis zu
gestalten, das sie war.
H.P.Willi
und: Heiri Forrer, Rosmarie Forrer, Mechthild Koller, Paul Kuhn, Walter Morger, Heinz Müller.
verfasst durch: Hanspeter Willi
Quelle: SCB-Infos Nr. 3/1990